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Pressemitteilung vom 29.11.2021

Aktualisiert: 8. Dez. 2021

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte soll entscheiden, ob die Lebensbedingungen in den griechischen "Hotspots" eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung von Asylsuchenden mit schweren medizinischen Problemen darstellen


Am 30. September 2021 reichten acht Antragsteller*innen ihre schriftlichen Stellungnahmen zu einer Reihe von Fällen ein, die derzeit vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängig sind. In der Rechtssache A.R. gegen Griechenland und 7 weitere Beschwerden (Nr. 59841/19 u.a.) hatte der Gerichtshof insgesamt acht Beschwerden zusammengefasst, die alle die Lebensbedingungen von Asylbewerbern mit schweren gesundheitlichen Problemen in den Aufnahme- und Identifizierungszentren (R.I.C., gemeinhin als "Hotspots" bezeichnet) auf den griechischen Inseln Kos, Lesbos, Samos und Chios betreffen. Die Klagen wurden von den NGOs METAdrasi, Refugee Support Aegean, HIAS, Equal Rights Beyond Borders und Refugee Law Clinic Berlin eingereicht. Alle Antragsteller*innen machen geltend, dass die unzureichenden und schlechten Lebensbedingungen in Verbindung mit dem fehlenden Zugang zur notwendigen medizinischen Versorgung einen Verstoß gegen das Verbot unmenschlicher und erniedrigender Behandlung gemäß Artikel 3 der Europäischen Konvention für Menschenrechte darstellen.


Zwei Verfahren, die sich mit der Situation im "Hotspot" auf Samos befassen, werden von den Rechtsanwältinnen Jenny Fleischer (Berlin) und Yiota Masouridou (Athen) in Kooperation mit der Refugee Law Clinic Berlin vertreten. Das Verfahren wird von dem Förderverein PRO ASYL und dem Public International Law Pro Bono Project des University College London unterstützt.


Der Fall von N.O. betrifft eine junge Frau, bei der Gebärmuttermyome diagnostiziert wurden und die von November 2019 bis Mai 2020 im "Hotspot" Samos leben musste. Obwohl die Behörden von ihrem lebensbedrohlichen Zustand wussten, ließen sie sie ohne jede sinnvolle materielle Unterstützung in der informellen "Dschungel"-Umgebung des Samos R.I.C. zurück, wo sie in einer behelfsmäßigen Unterkunft unter schlechten Lebensbedingungen ohne Zugang zu angemessenen sanitären Einrichtungen und mit äußerst eingeschränktem Zugang zu Nahrung und medizinischer Versorgung lebte. Bereits im November 2019 hatte das Allgemeine Krankenhaus auf Samos auf die Dringlichkeit und Notwendigkeit eines chirurgischen Eingriffs durch eine spezialisierte Einrichtung auf dem Festland hingewiesen. In den folgenden Monaten wurde die Antragstellerin nach starken Blutungen wiederholt in die Notaufnahme eingeliefert. Im März 2020 bestätigte ein medizinischer Teamleiter von MSF Samos, dass das Leben von N.O. in Gefahr sei, wenn die Operation weiter verzögert würde. Am 12. März 2020 wies der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die griechische Regierung gemäß Regel 39 an, der Beschwerdeführerin die notwendige Operation zu ermöglichen. Der Gerichtshof wiederholte seine Anordnung am 29. Juni 2021. Bis heute hat die Beschwerdeführerin den erforderlichen chirurgischen Eingriff nicht erhalten. In der Zwischenzeit sind die Myome auf eine Größe angewachsen, die das lebenswichtige Funktionieren mehrerer Organe bedroht. Darüber hinaus stellen die Myome eine ernsthafte Bedrohung für die Fruchtbarkeit der Klägerin dar, und die mit ihrer Behandlung befassten Ärzte halten es für sehr wahrscheinlich, dass sie keine Kinder mehr bekommen kann.


Die Antragstellerin W.A., die an chronischer Hepatitis B leidet, lebte zwischen August 2019 und Juli 2020 im "Hotspot" auf Samos. Die Behörden setzten den Antragsteller in einem Zelt im Wald rund um das R.I.C. auf Samos aus, obwohl sie von seinem Gesundheitszustand, den schweren Symptomen, die seinen Gesundheitszustand beeinträchtigten, und dem Risiko, dass der Antragsteller andere Lagerbewohner anstecken könnte, Kenntnis hatten. Er erhielt in dieser Zeit keine sinnvolle Unterstützung, um diese Risikofaktoren zu mindern. Die Behörden ignorierten außerdem in eklatanter Weise die unmissverständliche Empfehlung des Allgemeinen Krankenhauses, den Antragsteller unverzüglich zur Untersuchung und Behandlung durch einen Leberspezialisten auf das Festland zu verlegen, der auf der Insel Samos nicht verfügbar war. Stattdessen blieb er einer geografischen Beschränkung unterworfen, die ihn auf der Insel festhielt, wo keine der erforderlichen Medikamente verfügbar waren und seine "Behandlung" lediglich aus "Paracetamol und Honig" bestand. Darüber hinaus wurde der Kläger von den Behörden als hochgradig gefährdet im Hinblick auf das Covid-19-Virus eingestuft und dennoch während der Pandemie in den überfüllten Einrichtungen belassen. Erst nach einer Intervention des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wurde der Antragsteller schließlich im Juli 2020 auf das Festland verlegt.


"Diese Fälle zeigen anschaulich, dass die griechischen Behörden nicht davor zurückschrecken, Asylsuchende auf ihrem Hoheitsgebiet der Gefahr irreparabler körperlicher Schäden und sogar des Todes auszusetzen, um die unmenschliche europäische Grenzpolitik der Abschreckung umzusetzen", erklärte Kilian Schayani, Mitglied des Teams, das am Fall W. A. arbeitete. Bianca Schulze-Rautenberg, die für den Fall N.O. zuständig ist, kommentierte: "Schwerkranken Menschen den Zugang zu dringend benötigter Behandlung zu verweigern, indem man sie rechtlich zwingt, auf einer Insel zu bleiben, auf der die erforderliche medizinische Versorgung nicht verfügbar ist, ist mit dem Grundgedanken der Menschenwürde unvereinbar. Wir sind überzeugt, dass die Behandlung der Antragsteller*innen durch die griechischen Behörden die Schwelle zur unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung erreicht hat und dass der Gerichtshof einen Verstoß gegen Artikel 3 feststellen wird."


Die Refugee Law Clinic Berlin dankt dem Förderverein PRO ASYL e.V. für ihre Unterstützung und dem Pro Bono Projekt der UCL für ihren wertvollen juristischen Beitrag zu den Beobachtungen.

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